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Franz Josef Degenhardt: Eine Rezension als Nachruf (2011)

Als Nostalgieexperte halte ich Erinnerungen wach. So auch in diesem Text. Es handelt sich um meine Rezension eines seiner Spätwerke, die CD "Nocturn", die im September 1993 erschien. Bis 2008 veröffentlichte Franz Josef Degenhardt, der 2011 im Alter von 79 Jahren starb, noch weitere sieben CDs. Beeindruckt von den Bänkelsongs und Chansons der 60er-Jahre und beeinflusst von den politischen Liedern der 70er- und 80er-Jahre, bin ich immer ein Fan seiner tiefgründigen Poesie geblieben, die oft genug auch in Herne, Bochum oder Gelsenkirchen live zu hören war.

 

"'Väterchen Franz' ist weiß Gott nicht out. Denn Franz Josef Degenhardt, der umstrittene Liedermacher, Rechtsanwalt, Romanautor und überzeugte Kommunist, der politisierte und polemisierte, der den machtgierigen Senator, den verkrusteten Sozialdemokraten besang, verfolgt weiterhin mit wachem Blick und metaphernreicher Lyrik gesellschaftliche Entwicklungen in diesem unserem Lande.

 

Gerade eben haben die Hamburger von Element of Crime Degenhardts frühes Chanson ,Auf der Espressomaschine' wiederentdeckt und in ein neues Klanggewand gekleidet. Das wird den nunmehr 62jährigen sicherlich freuen, passt die Veröffentlichung doch zeitlich zusammen mit der Veröffentlichung seiner neuen CD ,Nocturn', seinem ganz persönlichen Nachtgebet, das er als ,Blues der Erlösungssüchtigen aus den Katakomben' versteht.

 

Es sind - wie eh und je - hintergründige Geschichten, die er zu schroff geschlagenen oder nervös gezupften Gitarrenakkorden erzählt. Wir erleben Alltagsbegegnungen mit Menschen, ,die Sieg versprechen und Heil androhen', mit Menschen, ,die vom Morgenrot überm Hafen träumen'. Degenhardt tastet sich weiter über Wiedervereinigung, Lichterketten, kommerzialisierte Freizeitvergnügen, kommentiert sachlich und vermeidet demagogische Untertöne. Auch führt er den Hörer behutsam in gesellschaftliche Randbereiche hinein, zeichnet beklemmende Bilder von Hass und Gewalt gegen Schwache und beschwört stets und ständig die Macht der Solidarität: Allerdings nicht (mehr) als parteipolitisches Allheilmittel, sondern als simple Überlebensstrategie in härter gewordenen Zeiten.

 

Franz Josef Degenhardt, der Polit-Barde, ist nie nur Chronist gewesen. Mit seinen Liedern griff er stets in den Lauf der Welt ein. Bertolt Brecht schrieb einmal: ,Ändere die Welt, sie braucht es.' Degenhardt ergänzte: ,Und das sei nicht nur so gesagt. Es kommt auch darauf an, dass man es macht.'

 

Franz Josef Degenhardt starb am 14. November 2011.