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Zum Tod von Ingo Insterburg (Insterburg & Co)

Das Interview mit Ingo Insterburg über die Dichtkunst von Insterburg & Co fand seinerzeit im Bochumer "Tucholsky" statt und stammt aus dem Buch „Licht aus – Spot an“ von Jürgen Boebers/Ulli Engelbrecht, Klartext-Verlag 1995.

Die vier Berliner Jürgen Barz (geb. 1944), Karl Dall (geb. 1941), Peter Ehlebracht (geb. 1940) und Ingo Insterburg (geb. 1934) nannten ihre schrägen Texte und akustisch-lustigen Lieder, die sie mit Flöten, Reiben, Gitarren, Spielzeug-Instrumenten oder auf allerlei Selbstgebasteltem intonierten, mal „Pop Klamotten“, „Musikalisches Gerümpel“ oder „Lieder aus Kunst und Honig“. Das Quartett Insterburg & Co bespielte die Republik landauf, landab. Von 1967 bis 1979 war keine noch so kleine Halle vor ihnen sicher. Außerdem gastierten die Vier häufig im Fernsehen: Kultsendung bis auf den heutigen Tag bleibt der „Musikladen“ von Radio Bremen, in dem sie als Rahmenprogramm ein paar Jahre lang regelmäßig ihre hinter- bis unsinnigen musikalischen Späße trieben. Insterburg & Co hievten ihren Blödsinn gar in die Hitparaden: Und zwar mit den Liedern Ich liebte ein Mädchen und Diese Platte ist ein Hit.

„Die Liedermacherwelle wurde dadurch ausgelöst, dass es gegen Ende der sechziger Jahre diese „Pan“-Clubs gab, die Danny, ein Italiener, in München, Hamburg und Berlin einrichtete. Das Prinzip dieser Clubs war, dass hier jeder, der wollte, auftreten konnte und für seinen zwei mal zehnminütigen Beitrag zehn Mark bekam. In Berlin spielten wir hier alle zum ersten Mal: Reinhard Mey, Ulrich Roski, Hannes Wader. Hinzu kam, dass das Publikum für diese neue Kleinkunst sehr offen war. Aber das, was immer so erzählt wird, dass nämlich die 68er-Bewegung der Auslöser gewesen sein soll, stimmt nicht. Diese Leute waren eher störend für uns Liedermacher.

Für eine weitere Initialzündung sorgten auch Schobert & Black, die anfangs politisches Kabarett in ihrem eigenen Theater, dem „Reichskabarett“, machten. Es gab dort regelmäßig freitags eine „Nachtvorstellung“, in der man sich präsentieren konnte. Ihnen war das, was wir spielten, immer ein wenig zu blöd. Aber als sie sahen, welchen Erfolg wir mit unseren Liedern hatten, wechselten sie ebenfalls auf unsere Seite. Sie nannten ihr Konzept „Höheren Blödsinn“, um sich niveaumäßig von uns abzuheben. Auch wenn es mehr eine halbherzige Sache war, fuhren sie damit aber ganz gut.
Unsere Veranstaltungen haben sich immer von selbst verkauft. Wir spielten in Hallen vor 1000 bis 2000 Zuschauern. Das Fernsehen brachte uns dann aber den ganz großen Durchbruch. Unsere erste halbstündige Show mit Gästen wurde von Radio Bremen ausgestrahlt. Es gab damals nur drei Programme, und wer das Fernsehen an jenem Abend einschaltete, hat uns zwangsläufig sehen müssen. Das bedeutete, halb Deutschland guckte zu, und unsere Tournee, die wir vorher schon organisiert hatten, war innerhalb weniger Stunden ausverkauft. Das ist heute kaum noch vorstellbar, denn diese Macht hat das Fernsehen verloren.


Hannes Wader lebte stets auf Vorschuß, lieh sich von mir hin und wieder 20 DM, um mit seiner Freundin Susi, die er später geheiratet hat, essen zu gehen. Das war so ähnlich wie bei Klaus Kinski, den ich kennenlernte, als er einen Gitarristen für Brecht-Balladen suchte. Der hat mich auch dazu gebracht, einen freien Beruf auszuüben. Jedenfalls war es so, dass der Klaus alles mögliche an Rollen annehmen mußte, weil er meist schon am ersten Drehtag seine Gage verbraucht hatte. Er kaufte sich Autos, die ihm nach ein paar Wochen nicht mehr gefielen. Dann holte er sich wieder ein neues und so fort. So war auch der Hannes.

Der Blödsinn hat sich einfach so ergeben. Das war nicht geplant. Wir wollten Lieder singen. Karl und Peter kamen ja aus der Moritaten-Ecke, hatten zuvor Hans-Albers-Parodien gemacht und Küchenlieder vorgetragen. Mir fiel es zunächst sehr schwer, habe mich fast zwei Jahre gequält, um ein eigenes Lied zu machen. Die erste Zeile, die mir einfiel war Nun roll` ich mich in den Teppich ein und quieke wie ein kleines Schwein. Es dauerte noch ein paar Monate, bis es fertig war. Und dann plötzlich sprudelte es los. Ich habe sicherlich weit über 100 Lieder geschrieben. Wir hatten einen Vorrat, der für drei bis vier Jahre reichte. Karl fing dann plötzlich in unseren Konzerten an, blödsinnige Ansagen zu machen, wenn er die einzelnen Mitglieder der Gruppe vorstellte. Dadurch kam ich dann auch ins Quatschen, wenn ich die Lieder ansagte. In den ersten Jahren hatten wir nie ein festes Programm, keinen Ablauf. Das war alles sehr spontan. Aber so konnten wir auch gut auf die Stimmung des Publikums eingehen.

Wir wollten nichts Politisches machen, weil ich immer der Meinung war, dass man dafür fundiertes Wissen braucht. Ich bin im Osten groß geworden, war bei den Jungen Pionieren, bei der FDJ und vorher war ich noch ein Jahr im Deutschen Jungvolk (DJ) der Hitler-Jugend, und deshalb hatte ich die Schnauze voll von politischen Vereinen, weil ich immer das Gegenteil von dem lernen mußte, was vorher war. Aber ich war sehr gut geschult im Diskutieren. Und ich wußte, wenn man sich auf Politik einläßt, muß man Fachwissen haben. Einfach so herausposaunen, wir müssen dies machen und das machen und Wohnungen für alle - das bringt nichts. Da schadet man der Sache mehr, als dass man ihr nützt. Lieder können zwar ein bißchen was transportieren, können auch ein wenig manipulieren. Aber wenn es zu politisch wird, dann will`s doch auch keiner mehr hören. Wenn aber einer meint, er müsse das machen, dann soll er in eine Partei gehen. Dass uns ein studentisches Publikum zuhörte, hatte nichts mit der politischen Bewegung zu tun, sondern einfach nur damit, dass diese Leute abends eher ausgehen als der Normalbürger.

Insterburg & Co war ein Unternehmen, welches wir eine ganz Zeit lang nebenberuflich ausübten. Ich lebte mehr schlecht als recht von meinen Gagen, die ich als Gitarrist verdiente. Peter war Kunstmaler, und als ich ihn kennenlernte, da schnitzte er Figuren und Pfeifenmännchen für eine Firma, die Weihnachtssachen herstellte. Seine Frau war Schneiderin und verdiente gut. Jürgen war Student der Volkswirtschaft, hatte ein Stipendium bekommen, und Karl, den wir immer „Laramie“ nannten, weil er mit dem Peter das Lied sang: Sein Steckbrief hing in Utah und in Laramie, verdiente sein Geld als Druckerei-Vertreter. Der hatte auch ein Auto, einen VW-Käfer, mit dem wir unsere Tourneen absolvierten. Es änderte sich jedoch ab dem Zeitpunkt, als wir unseren Auftritt in Ilja Richters „disco“ hatten und jeder von uns für, ich glaube, eine Stunde Arbeit, 1000 DM bekam.

Ich war auf der Kunsthochschule, sollte Lehrer werden. Aber ich habe mein Examen nicht durchgezogen und dort nur das gemacht, was ich wollte: Malen, Zeichnen und - da habe ich auch meine Prüfung mit „eins“ bestanden - Werk-Ausbildung. Basteln lag mir immer im Blut. Schon mit dreizehn habe ich viel geschnitzt. Es war kurz nach dem Krieg, und da gab es ja nichts. Da habe nach Weihnachten Tannenbäume zersägt und daraus Leisten gemacht und für meine Schwester Puppenstuben-Gegenstände gebaut. Möbel aus Draht und so weiter. Später hatte ich Spaß daran, aus Sachen, die unscheinbar aussehen, irgendwas zu bauen, was Musik macht. Die Ermunterung, weiterzumachen, hatte immer auch mit dem Publikum zu tun, bei dem diese Instrumente sehr gut ankamen.

Mein Wunsch ist es heute immer noch, ein Instrument zu erfinden, das es noch nicht gibt. Allerdings ist es auch schwierig, da man auf akustischer Basis nichts Neues mehr machen kann, nur noch auf mechanischem Weg. So wie meine Klingel-Maschine: Ein Gestell mit fünfzehn Fahrradklingeln, die fünfzehn unterschiedliche Töne erzeugen. Jede Klingel wird von vier Klöppeln, die auf einer Welle befestigt sind, angeschlagen. Angetrieben wird das Instrument mit dem Schwungrad einer Nähmaschine. Wenn‘s läuft, drückt man Tasten und die Fahrradklingeln werden angehoben und kommen dann gegen die sich drehenden Klöppel. Vor vier Jahren habe ich eine Symphonie komponiert, in der im dritten Satz, den ich „Teufelsmenuett“ genannt habe, diese Drehbimmel vorkommt und ein Solo spielt. Zu hören ist aber auch meine Riesenklarinette aus zehn Zentimeter dickem und 2,50m langem Bambusrohr sowie mein Öl-Eimer-Cello.

Wir veröffentlichten bis 1979 zwölf Platten, die mal live, mal im Studio produziert wurden, darunter auch zwei Doppel-Alben mit Sketchen. Wir hätten weitermachen können, denn das Interesse der Leute war ungebrochen. Wir haben aber aufgehört, weil sich in unserem Tournee-Leben ein Gleichmaß hineingeschlichen hatte. Immer die gleichen Hotels, immer die gleichen Bühnen. Wir waren einfach müde. Wir hatten den Eindruck, dass das Leben an uns vorbeizieht. Es war langweilig, den ganzen Tag im Hotel zu sitzen. Man konnte in dieser Atmosphäre auch nichts erarbeiten. Es fiel uns nichts Sinnvolles ein. Peter sagte in solchen Momenten: Ich kauf`mir jetzt einen Knüppel und schlage die Zeit tot. Und dann kam der Abend, der Auftritt, und dann wurde es wieder hektisch. Dieser Rhythmus macht dich auf Dauer kaputt.“

Ingo Insterburg starb am 27. Oktober 2018 im Alter von 84 Jahren in Berlin.