Große Gefühle. Offensiv formuliertes Selbstbewußtsein. Absage ans Mauerblümchen-Dasein. Mut zu mehr Wagnis. Und dass alles in solchen Gassenhauern verpackt wie Ob blond ob braun ob Henna, zu Weihnachten gibt’s neue Männer oder Frauen kommen langsam, aber gewaltig oder Mit Leidenschaft oder Ich will die Hälfte der Welt.

 

     Ina Deter, die Rock-Chanteuse, propagierte und prägte ein neues Bild der Frau. Was richtig war und wichtig. Und völlig konträr zum hausmütterlichen Wendebild des Kohl-Kanzlers stand. Ina Deter, der Tracy-Chapman- und Joni-Mitchell-Fan, gab sich nie männermordend, aber immer bewusstmachend, nie böse, aber immer eindringlich – so zog die zierliche Frau mit Band und pinkfarbener E-Gitarre in den 1980er-Jahren durchs Land und sorgte für eine Aufbruchstimmung der emanzipatorischen Art. "Ich glaube aber nicht, dass mein Erfolg die Sache der Frauenbewegung weiter vorangetrieben hat. Die Situation und die Stimmung seinerzeit war – so sehe ich das – das Ergebnis eine ganz natürlich Entwicklung seit den Anfängen der Frauenbewegung ab 1974. Der Samen, den wir seit dieser Zeit gestreut hatten, ging nun endlich auf."

 

     Ina Deter, 1947 in Berlin geboren, redet sich nichts schön, wenn sie zurückdenkt an jene Zeit, als sie in den Charts ganz oben stand. Neue Männer braucht das Land hieß der Top-Song, und man schrieb das Jahr 1983. Ina Deter war zu diesem Zeitpunkt 36 Jahre alt und ein "Star der neudeutschen Rockmusik, der wohlarrangierte, freilich etwas gleichförmige Rocknummern veröffentlichte, die in der Stimmlage teilweise pathetisch und von schartigem Liedermacher-Trotz geprägt sind", wie es gewisse Rock-Rezensenten damals formulierten. "Für mich war’s ein konsequenter Weg hin zur rockigen Bandmusik, seit ich in den 1960er-Jahren mit Skiffle-Musik anfing", sagt Ina Deter heute.

 

     Die Frau, der man Humor, Ausstrahlung und Persönlichkeit attestierte, aber auch mit bösen Attributen wie "Klampfen-Else", "Lila-Latzhosenträgerin", "Kindesmörderin", "Lesbenzicke", "Emanzenliese" attackierte, hatte auf ihrer 1997er-CD "Mit früher ist es heute vorbei" diese Bezeichnungen aufgegriffen und ein Lied speziell für all jene Journalisten geschrieben, die ihr "feindlich" gesinnt waren: "Bei mir gab’s immer nur Fans oder Feinde, dazwischen war nichts. Und die Feinde waren die Männer in den Redaktionen mit ihren seltsamen Befindlichkeiten. Weißt du, die Frauen veränderten sich und die Männer waren verwirrt, konnten damit nicht umgehen", sagt sie. Ihr Lied sei keine Abrechnung im bösen Sinn, eher eine Bestandsaufnahme, eine Zustandsbeschreibung. "Nein, heute ärgert’s mich nicht mehr, aber damals hat es mich schon verletzt."

 

     Und sie erzählt von jenen Auguren der Kritik, deren Häme in Sprüche gipfelten wie Macht-einen-auf-Emanze-und-in-der-Band-stehen-die-Männer-breitbeinig-herum. Und sie schildert auch Ereignisse aus Konzerten in den 1980er-Jahren, wo es aggressive Zwischenrufe von Männern gab und sie mit Tränen in den Augen vor dem Mikrofon stand und sich nicht verteidigen konnte. Was sich aber schnell umkehrte, denn »im Frauenplenum hatte ich ja gelernt, wie man Wut mit großer Klappe paart. Und die Bühne war eine gute Schule, das Kontern zu lernen.«

 

     Ina Deter schrieb kluge Texte, witzige Texte, nachdenkliche Texte. Thema: Selbstverwirklichung der Frau, Emanzipation von Frauen und Männern, Alltagsgeschichten einer partnerschaftlichen Beziehung. Kurzum: Liebe, Lust, Leidenschaft – das ganze Spektrum. Die Verse waren pointiert und kamen nie verschwafelt daher. 1969 zog sie von der Spree an den Rhein – beruflich bedingt. »Ich war Grafikerin, ich war erfolgreich, es machte mir Spaß. Und dass ich von der Musik leben wollte, stand nicht zur Diskussion. Und Texte schreiben konnte ich zu diesem Zeitpunkt auch nicht.« Das änderte sich Mitte der 1970er-Jahre, als sie sich in der Frauenbewegung engagierte und für ein Projekt gebeten wurde, ein Lied zu schreiben.

 

     »Ich hatte Musik, also die Komposition, machen sollen, aber keinen Text. Den Text sollten die Germanistik-Frauen liefern. Es kam aber nie einer. So entstand aus einer Notlage heraus, sozusagen gezwungenermaßen, mein erster Text ›Ich habe abgetrieben‹. Auch dieser Text entstand aus einer Wut heraus. Ich war eine betroffene Frau wie tausend andere auch, wollte kein Kind, wollte nicht heiraten, wollte mich einfach anders entscheiden. Es war mir daher ein Bedürfnis, bei dieser Aktion mir und allen anderen zu helfen. Ich hatte keine Ahnung von Versmaßen und Reimen. Ich hab’s geschrieben und nicht weiter drüber nachgedacht. Schließlich wollte ich mir mit diesem Text nichts beweisen.«

 

     Das Jahr 1974 wurde allerdings Ina Deters Geburtsstunde als Sängerin eigener Texte; von nun an sang sie in Kölner Kneipen und bei Frauenprojekten und -festen. 1976 hörte sie ein Produzent, und sie kam mit ihrem Lied Wenn du so bist wie dein Lachen in die Endausscheidung für den Grand Prix d’Eurovision de la Chanson. Es folgten drei LPs mit stark frauenthematischen Songs. »Die waren sehr folkig instrumentiert, und da sang ich auch noch mit meiner Joan-Baez-Stimme. Es waren aber allesamt kommerzielle Flops. Die Frauenbewegung stand zwar in voller Blüte, doch meine Art der musikalischen Auseinandersetzung damit war wohl nicht ausgereift genug, vielleicht war ich aber auch meiner Zeit weit voraus – ich weiß es nicht. Auf jeden Fall kündigte mir die CBS meinen Plattenvertrag. Ende der 1970er-Jahre lernte ich Micky Meuser und Manni Holländer kennen; wir sind dann zunächst als Trio, zwei Gitarren und E-Bass, getingelt. Ich arbeitete an meiner Stimme und das Konzept der Musik wurde immer rockiger.«

 

     Mit der Platte »Aller Anfang sind wir«, die bei einem Alternativ-Label erschien, startete Ina Deter ins neue Jahrzehnt. Seite A offerierte noch folkbeeinflusste Musik, Seite B präsentierte Rock. Und Ina ließ fortan die lila Latzhose im Schrank, bevorzugte schwarze Klamotten und trug ab nun ihr obligatorisches Stirnband. Die »Neue Männer«-Platte erschien bereits 1982, doch der Erfolg setzte erst später ein. Und dass sie ein Erfolg wurde, »lag ausschließlich am Publikum und nicht etwa daran, dass die Nummer ständig im Rundfunk lief«, erinnert sich Ina. Den Song habe man zunächst nicht gespielt, weil das Thema wohl zu ungehörig gewesen sei. »Der NDR schickte mir sogar wegen der Refrainzeile Ich sprüh’s an jede Wand... eine Anzeige wegen Aufrufs zur Sachbeschädigung ins Haus. Und bei der Europawelle Saar steht der Titel nach wie vor auf dem Index!«

 

     Ob sie durch die Veröffentlichung und den Erfolg der »Neue Männer...«-Platte für sich ein entsprechendes Exemplar gefunden hat, darüber schweigt sie sich aus. Aber sie erzählt, wie sich die Männer in ihrem Bekanntenkreis über das Passfoto-Cover geärgert hätten. »Sowas Spießiges, sowas Bürgerliches – obwohl sie sich immer so progressiv gaben. Na ja. Ich bat viele Bekannte um ein Foto. Und als die Platte herauskam, fühlten sie sich veräppelt. Du suchst ja neue Männer, haben sie gesagt, und uns führst du da als die alten vor, die nicht mehr in die Zeit passen. Das hat viele gewurmt und man hat mich geschnitten, nicht mehr mit mir geredet. So etwas Empfindliches! Die haben den Witz der ganzen Sache überhaupt nicht verstanden.«

 

     Mit Witz und Spaß habe vieles zu tun gehabt in den 1980ern, sagt Ina. Und aufregend sei es gewesen. Die Anti-AKW-Bewegung zum Beispiel, die Friedensbewegung. »Wir haben natürlich auch bei vielen Demo-Konzerten mitgespielt und ich habe unter den Kollegen Profilneurotiker kennengelernt und echte, solidarisch gesinnte Kollegen.« Die Aktion »Band für Afrika« sei ein gute Sache gewesen, eine sehr gute Sache sogar. »Aber dieses Lied Nackt im Wind war schrecklich. Wenn man das mit dem Stück We Are The World verglich – oh Gott. Ich war froh, dass ich den Refrain nicht singen musste. Das war zum Glück nicht meine Stimmlage«, sagt sie und lacht.

 

     Ihr Erfolg habe sie auch kaufmännischer werden lassen. Zwangsläufig. Bis zu diesem Zeitpunkt sei man sehr naiv ans Musikmachen herangegangen, Begriffe wie »Zielgruppen«, »Charts«, »Marktsituation« hätten bei ihr nicht im Vordergrund der musikalischen Arbeit gestanden. "Ich kannte mich in der Werbung aus, aber ich kannte nicht die Mechanismen des Musikgeschäfts. Und wir gerieten nun unter Druck. Von Oktober 1983 bis Weihnachten 1984 waren wir permanent unterwegs, die nächste Tournee war schon terminiert, zwischendurch musste die nächste Platte fertigwerden. Und die Veröffentlichung musste schnell gehen, wir mussten den Erfolg ausnutzen, damit’s weiterläuft."

 

    Für Ina Deter waren die 1980er-Jahre auf jeden Fall sehr positiv, und das nicht nur wegen ihres durchschlagenden Erfolges, der sich bis in die 1990er-Jahre fortschreiben lässt. Ihr ging es um die Musik und um die Sache der Frauen: »Ende der 1970er fing’s an zu zucken und Mitte der 1980er begann es zu rumpeln«, sagt sie und erinnert daran, dass die Frauen selbstbewusster auftraten, kollektiv sagten, jetzt sei Schluss, und dass sie den Mut hatten, zu singen, zu schreiben, Filme zu machen oder was auch immer. Plötzlich kamen sie, die Frauen, die man stets unterschätzt hatte: Langsam noch, aber gewaltig. Sie wurden ernster genommen und sie nahmen sich ihre Chancen. Hatten Erfolg, so wie auch Ulla Meinecke. Und wenn man zudem gut war und eine Ausstrahlung hatte, dann funktionierte es auch. »In meiner Plattenfirma, wo sich auch ganz langsam das Bewusstsein der Männer änderte und Frauen schließlich in der Presseabteilung tätig waren oder im Talentsucher-Bereich, der A&R-Abteilung, nahm man mich total ernst und ich hatte freie Hand, habe auch immer an meinen Covern, Postern oder Presseinfos mitgearbeitet.«

 

     Dass die Neue Deutsche Welle entscheidenden Einfluss auf ihre Arbeit hatte, weist sie von sich. »Damit hatten wir nichts zu tun, dazu gehörten wir auch nicht. Bei mir wusste man ja, wen man sich da eingekauft hatte. Ich war nie eine Püppi, der man dies und das sagen konnte oder musste oder dass ich mir die Haare färben sollte. Ich war eine Frau, die aus einer politischen Haltung heraus etwas zu sagen hatte – und das wurde akzeptiert.«

  

     Ina Deter hat sich noch nicht zur Ruhe gesetzt. Eine Schaffenspause hatte sie sich vor ein paar Jahren gegönnt, um eine Krise zu überwinden. Hatte in dieser Zeit als Regieassistentin an einem Theater in Aachen mitgearbeitet. Doch dann ging’s wieder mit der Musik weiter: Es folgten CDs mit Neuaufnahmen der alten Songs, aber auch aktuelle Einspielungen. »Solange ich noch was zu sagen habe, mache ich Lieder und dazwischen immer wieder mal eine kleine Tour. Auch übers Jahr 2000 hinaus«, sagt Ina, die sich besonders freut, »dass die Frauen von einst heute mit ihren Kids ins Konzert kommen und dass die Kinder ihre Lieder mitsingen«.

      Und dass sich doch einiges getan hat im Land.