Wilder Rock aus Witten an der Ruhr

Interview mit Stefan Josefus im Franz-K.-Studio Witten, November 1994

(Der Text wurde vom Autor im Buch "Licht aus - Spot an" von Engelbrecht/Boebers 1995 veröffentlicht)


 

"Franz K. spielten einfache Musik, die jeder bierholende Lehrling gut verdauen konnte. Franz K. verwandten meist Blues- , Boogie- und Hardrock-Elemente, die keine Offenbarung waren, aber solide klangen. Dazu texteten sie über Wehrdienstverweigerung und Ausbeutung der Dritten Welt, Lehrlingsprobleme und tagespolitische Ereignisse wie die Zechenstillegungen im Ruhrgebiet. Die Band vollzog später eine Kehrtwendung hin zu unpolitischer Unterhaltung und bauten in ihren Losgehrock auch mal einen Schlager ein."

(Hermann Haring in „Rock aus Deutschland West“, 1984)

 

Franz K. wurde 1969 von Mick Hannes (Gitarre), Peter Josefus (Gesang, Bass) und Stefan Josefus (Schlagzeug). 1972 erschien ihr Debut "Sensemann". Auf dieser LP befanden sich nur zwei Titel mit jeweils 20 Minuten Länge. 1973 folgte dann die zweite LP "Rock in Deutsch". Ihr Markenzeichen war ein ehemaliger Leichenwagen, ein Opel-Transporter aus den 1950er-Jahren, den sie als Tourbus nutzten. Franz K. ist bis heute aktiv.

 

Dass wir drei so lange Musik machen würden, hat sich einfach ergeben. Mein Bruder Peter, der Bassist und Sänger, spielte schon ewig mit dem Gitarristen Mick Hannes zusammen. Als ich nach dem Abitur, das ich in einem Paderborner Internat absolviert hatte, nach Witten zurückkehrte, suchten die zwei einen Schlagzeuger. Im Winter 1969 gründeten wir dann Franz K. und machten von Beginn an Rockmusik mit deutschen Texten, was auch sofort auf eine große Resonanz des Publikums stieß. Die Texte waren okay, die Musik war okay und die Stimme meines Bruders kam gut an. Wenn es dieses Interesse nicht gegeben hätte, wäre die Band nicht zusammengeblieben. Von der Gage haben wir dann unsere Demos finanziert. Was wir sonst auch gar nicht hätten machen können. Unsere Eltern konnten uns nicht finanziell unterstützen, denn die hatten kein Geld.

 

Es gab zunächst keinen Ehrgeiz, die Musik zu unserem Beruf zu machen. Aber als Franz K. lief, bin ich, ebenso wie Mick, kaum noch zur Uni gegangen, und mein Bruder schmiss sogar seine Elektriker-Lehre. Wir sagten uns: Das, was wir spielen, kommt an, also lasst es uns intensiver betreiben. Wenn man es nicht beruflich macht, bekommt man die Konzerte und Arbeit nicht mehr unter einem Hut. Denn du kannst nicht sonntagabends in München spielen und montagmorgens um acht Uhr in Witten am Arbeitsplatz sein. Das geht vielleicht eine kurze Zeit gut, ist aber nichts auf Dauer. Der Einsatz bliebe dann auch nur lokal begrenzt.

 

Mit unserem „Rock in deutsch“ wollten wir nicht nur Botschaften vermitteln. Für uns hatte die Musik stets einen eigenen Stellenwert. Wir wollten gute Rockmusik machen, aber keine Nonsens-Texte. Auf unserer ersten Platte „Sensemann“, die 1972 herauskam, und von der alten Plattenfirma jetzt als CD wiederveröffentlicht wurde, behandelten wir zwei Themen: Lehrlingswelt und Bundeswehr. Wir wussten, worüber wir redeten. Mein Bruder Peter kam aus der Lehre und ich hatte ja ein bisschen Germanistik studiert und war Wehrdienstverweigerer.

 

Die Bundeswehr war nur ein Aspekt in unseren Texten, den wir am Ende unserer Konzerte immer recht theatralisch präsentierten: Ich setzte mir den Stahlhelm auf, und dann spielten wir die Deutschland-Hymne als Marschmusik und zerhackten alles ein bißchen in der Art, wie das Hendrix gemacht hatte.

 

In den 70ern gab es eine allgemeine Kritik an den Verhältnissen. Man muss das so sehen: Aus dem verlorenen Krieg entstand eine reiche Wohlstandsgesellschaft. Unsere Elterngeneration ist dann ein wenig bedenkenlos geworden, hat nichts mehr kritisch gesehen. Und darauf hat man als Jugendlicher reagiert, hat sich gesagt, dass ein schönes Auto oder ein Reihenhaus nicht alles ist. Es gibt auch noch weitere Lebensinhalte. Heute ist das genau umgekehrt. Die Armut wächst, und man stellt ganz andere Fragen: Wie man an Arbeit, oder wie man den Wohlstand wieder herbeiführt. Jeder ist eben ein Kind seiner Zeit, klar. Solche Texte, wie wir sie in den 70ern geschrieben haben, würde heute keiner mehr singen. Engagierte Musik machen heißt ja schließlich auch, Antworten auf die Fragen der Zeit zu suchen und sich nicht irgendetwas auszudenken und irgendeine Philosophie verbreiten, die völlig unsinnig ist.

 

Wir spielten also viel, machten unsere Demos und schickten sie den Plattenfirmen. Den Kontakt zur Phonogram, unserer ersten Major-Company, knüpfte ein Bekannter. Die riefen dann an, weil sie uns haben wollten und schickten uns nach Hamburg ins Windrose-Studio, das dem Peter von Zahn gehörte, der dort ein Film- und Tonstudio betrieb. Mit einer Achtspur-Maschine haben wir die „Sensemann“ auf-genommen. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Die Platte hatte nur zwei Stücke, Sensemann und Peterlied, beide dauerten um die 20 Minuten. Das war völlig unkommerziell, und sowas ist dann natürlich für eine Newcomerband schwierig, beim Rundfunk unterzubringen. Wir musizierten noch sehr undergroundig, dachten nicht an Single-Formate, da wir, im Gegensatz zu Udo Lindenberg, Berührungsängste mit Hitparaden hatten. Wir taten uns eben noch ein bisschen schwer.

 

Ich glaube, es war früher einfacher, einen Plattenvertrag zu bekommen, da die Firmen eher mal bereit waren, für einen Newcomer Geld auszugeben. Und auch dies: Unsere Musik, und das wird man mir kaum glauben, wurde bedingungslos akzeptiert. Es wurde nicht hineingeredet. Als die Platte auf dem Markt war, schauten die Phonogram-Leute nach einem dreiviertel Jahr in ihre Bilanzen, stellten fest, dass nur wenige Platten verkauft worden waren und meinten zu uns: Wir lassen es, es lohnt sich nicht. Den zweiten Vertrag hatten wir bei der Polydor. Doch die Platte „Rock in Deutsch“ lief auch sehr schlecht. Wir nahmen noch eine weitere LP für die Polydor auf, doch die wurde erst gar nicht veröffentlicht.

 


 

Wir waren jedoch von uns so begeistert und wurde auch immer bestärkt: Denn trotz der Plattenpleiten gab es viele Konzertangebote. So haben wir dann unsere dritte Platte „Bock auf Rock“ auf eigenes Risiko produziert. Veröffentlicht wurde sie bei der EMI/Electrola - und diese LP wurde auch was. Vielleicht, weil wir jetzt kürzere Lieder sangen, vielleicht auch deswegen, weil die Zeit für unsere Sachen reif war. Lindenberg war bereits in den Medien und da dachte man sich wohl, an Rock mit deutschen Texten muss wohl was dran sein.

 

Unsere Erfolgsgeschichte lief aber trotzdem mehr auf der Live-Ebene. So viele Konzerte, wie wir sie jahrelang und kontinuierlich gemacht haben, nämlich 100 bis 120 sehr gut besuchte Gigs quer durch Deutschland, spielte keine andere Band. Es gab eine so große Nachfrage, dass man sagen kann, dass wir doch schon recht populär waren. Das wurde dann noch besser, als wir auch Singles veröffentlichten und mit dem Stück Geh zum Teufel, eine Cover-Version von Satisfaction, aus unserer vierten LP, fast acht Wochen Nummer 1 in der Schlagerrallye (der Pop-Rock-Hitparade auf WDR 1) waren. Da hatten wir‘s dann auch als Plattenband geschafft.

 

Obwohl wir zu Beginn überhaupt nicht mediengerecht waren, bekamen wir trotzdem eine tolle Resonanz im Fernsehen und im Radio. Unsere Idee war eben gut, wir hatten kreativ etwas Neues aus dem Boden gestampft. Und dann ist man auch ein gern gesehener und interessanter Gesprächspartner. Dass wir aus dem Ruhrgebiet kamen, war damals weder ein Gütezeichen noch ein Makel. Musik, die im Ruhrgebiet entsteht, ist nun mal lauter und aggressiver, und sie passt hier auch zu dem Menschenschlag. In Folk-Gegenden wie Baden-Württemberg mochte man unseren Hardrock gern. Gerade dort gaben wir wahnsinnig viele Konzerte.

 

Oft haben wir beim Gig festgestellt, dass bestimmte soziale Schichten ihre eigene Musik haben. Schöngeister sind nicht zu uns gekommen. Unser Rock war unheimlich laut und wild, aber es war eine Musik mit positivem Vorzeichen. Wir haben Dampf abgelassen, die Zuhörer haben Dampf abgelassen und man hat getanzt. Bei unseren Konzerten hat es nie Schlägereien gegeben. Auch als wir mal in Bochum vor 5 000 Rockern aus ganz Deutschland spielten.

 

Die hatten uns deshalb engagiert, weil wir das Lied Der Tiger („Hey Tiger, hey, hey Tiger / der Teufel ist für dich ein lahmer Greis / hey Tiger, hey, hey Tiger / jeden Unschuldsengel machst du heiß“), das von einem Motorradfahrer handelt, sangen. Da war schwer was los! Auch als wir den Anheizer auf der Deutschland-Tour von Status Quo machten und vor fünfeinhalbtausend Leuten an einem Donnerstagabend in der Essener Grugahalle auftraten, gab‘s keine Randale oder so. Im Gegenteil: Es war ein irres Gefühl, als fast die ganze Halle Bock auf Rock mitsang.

 

Was wir spielten, war eine ungestüme Musik, meinetwegen auch Proletenmusik, aber die Leute haben sich nachher wohlgefühlt hat. Auf keinen Fall war das eine Musik, die den Frust der Leute verstärkt hat, so wie das zum Teil im Punk der Fall war. Denn diese Musik kam zum größten Teil mit einem negativen Vorzeichen daher. Da haben die Bands auch destruktive Musik gemacht. Da gab‘s Prügeleien im Publikum und das Publikum prügelte sogar auf die Bands ein. So etwas hat es in den wildesten Zeiten der Rockmusik, so wie wir sie gespielt haben, nicht gegeben. Auch nicht solche Skin-Bands, die zum Hass aufrufen. Das ist ganz schlimm. Da hört der Spaß für mich auf. Musik muss was Positives bleiben!

 

Unser letztes Konzert gaben wir vor vier Jahren. Die Live-Kiste bleibt jetzt zu. Wir sind 15 Jahre lang, von 1970 bis 1985, durch die Gegend gegeistert und es drängt uns wirklich nichts mehr nach draußen, schon deswegen, da die Arbeit in unserem Studio, das wir bereits seit zehn Jahren betreiben, viel Spaß macht. Wir veröffentlichen aber nach wie vor eigene Produktionen. Allerdings sind die Lieder ruhiger, harmonischer und poppiger geworden ist.

 

Es gibt zwei Erlebnisse aus der Franz-K.-Geschichte, die sich mir eingeprägt haben: Als unser VW-Bulli mit der gesamten Anlage wegen eines Vergaserbrandes Feuer fing und alles zerstört wurde, hätte uns das beinahe einen Knockout versetzt. Die Sachen waren nicht versichert, und wir mussten uns einen Kredit besorgen und alles neu kaufen. An dem Punkt sagten wir: Nur nicht unterkriegen lassen, jetzt geht‘s erst recht los. Ärmel aufkrempeln und durch.

 

Die andere Geschichte bezieht sich auf unsere Tour mit Status Quo, bei der wir sehr viel lernen konnten. Nämlich: Wie ein Profi-Band arbeitet und wie sie sich vorbereitet. Der Bogen hat sich dann geschlossen, als wir im vorletzten Jahr Jethro Tull bei uns im Studio hatten. Da waren wir nicht mehr die Lehrlinge, sondern gleichberechtigte Partner.

 

Das sind, so denke ich, schönere Ereignisse, als wenn ich jetzt Groupie-Geschichten erzählen würde...